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Ampelwesen: Universelles Speed Dating kommt!

Schlendern wir vergnügt durch unsere Stadt, hält uns von Zeit zu Zeit eine rot leuchtende Fußgängerampel auf, die nach einer Weile mit dem grünen Ampelmännchen das Weitergehen gestattet. Ampel-MÄNNCHEN? Sollen Frauen vielleicht auf ewig auf einer Straßenseite verbannt bleiben? Hat vielleicht die ungehemmte Männermafia der Verkehrsentscheider das Karriereleid der Frauen  im bundesdeutschen Straßenbild auch noch symbolisch untermauern wollen: »Für Euch gibt es kein Fortkommen, basta?«

Die Stadt Bremen hat sich dieses Schlüsselproblems angenommen und ab 2010 auch »Ampelfrauchen« montiert. Halt! Sollte es nicht »Ampelweibchen« oder sachlicher »AmpelXXer« heißen? Graben wir tiefer, zeigt sich, dass Bremen diese Ampelwesen nicht aus Überzeugung, sondern wegen billiger Beschwichtigungspolitik eingeführt hat. Wer es nicht glaubt, schaue sich die bremische Verwaltung an. Da gibt es kein Amt gegen Diskriminierung im Verkehrssymbolwesen. Man findet auch keine offizielle Erhebung, ob der Anteil der Ampelfrauen dem der weiblichen Bevölkerung von 51% entspricht. Mit solcher Halbherzigkeit ist der mangelnden Quote im Straßenbild wirklich nicht beizukommen.

Im modernen Berlin, wo man gern die Abweichung zur Norm macht, sind wir da schon ein schönes Stück weiter. Die Obrigkeit hat dort bereits in einigen öffentlichen Gebäuden Unisex-Toiletten eingerichtet. Damit ist der Weg vorgezeichnet, dass Männer und Frauen sich immer öfter nicht mehr als solche outen müssen.

Wenn dann alle Menschen spätestens in der nächsten Generation im Alltagsleben endlich vergessen haben, was sie sind, und sich an keiner öffentlichen Darstellung eines Geschlechts in zu hoher oder zu geringer Zahl mehr stoßen werden, kann sich unsere Gesellschaft von diesem langwierigen Spannungsfeld verabschieden . Im Lehrplan für die Halbwüchsigen dann wird das Fach »USD« zu finden sein, das »Universelle Speed Dating«,  wo sich Schüler im Rhythmus von sieben Minuten an potentielle Sexualpartner allerlei – zufällig ausgewürfelten – Geschlechts versuchsweise annähern dürfen. Um  im Herkömmlichen nicht zu versauern, sollte dabei ab und zu auch ein monözischer Gummibaum dabei sein. Damit beugt dann unsere Gesellschaft systematisch den verfrühten und deshalb irrenden Outings vor, die heute noch die zarten Seelen unseres Nachwuchses so schwer belasten.

Bismarck: Freiheit für die Dummheit?

Am 24. Mai 1889 ließ Reichskanzler Bismarck den Reichstag mit dem ersten »Gesetz zur Alters- und Invaliditätsversicherung« sein Sozialversicherungsprojekt vollenden, das Deutschland in den ersten umfassenden Sozialstaat der Welt transformierte. Zuvor (1883) waren die Krankenversicherung und kurz danach (1884) die Unfallversicherung, beide vor allem auf die Arbeiterschaft ausgerichtet, eingeführt worden. Diese beiden Einrichtungen erfüllten neben der Risikoabfederung einen klaren politischen Zweck: »Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.« (Originaltext Bismarck).

Doch mit der dritten und vorletzten Säule, der Alterssicherung, (die vierte, die Arbeitslosenversicherung wurde erst 38 Jahre später errichtet) erreichte Bismarck – ob gewollt oder als Nebenwirkung ist wohl ungeklärt – weit mehr als die gesellschaftliche Akzeptanz des Fürsorgestaates. Denn mit ihr verlor die traditionelle Familie als Sozial- und Versorgungseinrichtung vor allem für die Älteren nach und nach ihren Sinn und somit auch ihre Bedeutung in der und für die Gesellschaft. Diese wandelte sich damit von der Gemeinschaft der Familien zur Gemeinschaft der Individuen. Hatte der Einzelne zuvor seine Interessen zuerst innerhalb der Familie, mit Menschen, die er kannte und mit denen ihn eine gemeinsame Verantwortung verband, durchsetzen und ausgleichen müssen, galt es jetzt, dies gegen Massen anderer, unbekannter, ja anonymer Individuen zu bewerkstelligen, deren Schicksal so unbekannt wie uninteressant war. Vielleicht war mit dieser neuen, weniger lokalen, weniger persönlichen Konfliktlage auch der mentale Grundstein für die beispiellosen Massentötungen über große Entfernungen der beiden Weltkriege gelegt, nachdem man – bewusst oder unbewusst – lernen musste, sich gegen das Unbekannte, schwer Bestimmbare, in großer Zahl Auftretende durchzusetzen. Die Entwicklung der Waffentechnik allein kann nicht der Grund gewesen sein, solange noch Menschen am Abzug sind.

So spekulativ dieser im Wortsinne verheerende Mentalitätswandel anmuten mag, die Zerstörung der familiären Bindungen und der Wegfall der selbstverständlichen Pflichten dem tatsächlich Nächsten gegenüber fand und findet jedenfalls statt. Derartig drastische Brüche der Tradition gingen und gehen nicht ohne heftige Gewissenskonflikte einher, die vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Literatur und Wissenschaft umfangreich behandelt wurden. Wie aber konnten die Menschen diese Gewissenskonflikte verkraften?

Es war der Gewinn an gefühlter und tatsächlicher Freiheit, der diese Gewissensbisse unterdrücken und kaschieren half. War die Bürde an Pflicht und Verantwortung gegenüber anderen erst einmal erleichtert, gewannen Pflicht und Verantwortung gegenüber einem selbst schnell die Oberhand. Nunmehr entschied jeder für sich, wem er wann und wie oft und wie verpackt Aufmerksamkeit, Nähe, Obdach, Geld und Pflege widmen wollte. Mehr noch: er entschied, ob er dergleichen anderen Menschen überhaupt anbieten wollte. Und er wurde damit – innerhalb seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten – frei in seiner Ortswahl, eine neue, von Wirtschaft und »Obrigkeit« begrüßte Mobilität breitete sich aus. Und heute, wo im statistischen Mittel jeder Bundesbürger mehr als 50% seines persönlichen Einkommens in der einen oder anderen Form dem Staat als Fürsorger überlässt, er immerhin mehr als die Hälfte seiner Zeit für andere, zumeist völlig unbekannte Personen arbeitet, gibt es doch für quälende Gewissensfragen keinen Anlass. Oder vielleicht doch?

»Dummheit schützt vor Strafe nicht,« spricht der Volksmund. In jedem Falle schützt »Dummheit« nicht vor Schaden. Und diese Dummheit manifestiert sich heutzutage herausragend in der Fehleinschätzung der Größe der eigenen, sozial vertretbaren Entscheidungsspielräume. Anonymisiert man die Altersversorgung (gleich ob nach dem Versicherungs- oder dem Umlageprinzip), ist uns die Entscheidung abgenommen, wen wir in welchem Umfang unterstützen. Diese Entscheidung liegt beim Staat. Und fördern wir (statt sie zu ächten, wenn nicht zu sanktionieren) Lebensmodelle, die inhärent auf Kinderlosigkeit oder wenig Nachkommen ausgelegt sind, ist uns die Entscheidung abgenommen, wieviel Rentner ein Arbeitender »durchbringen« muss. Es sei denn, wir legalisieren die direkte oder verschleierte Euthanasie. Um es in aller Härte zu sagen: Der Reichtum (oder die Armut) einer Gesellschaft liegt auch heute noch in der Größe ihres produktiven, also auch Kinder-Anteils. Jede Entscheidung gegen ein Kind ist also automatisch auch eine Entscheidung gegen den Wohlstand, für die Armut. Und damit im eigentlichen Sinne asozial.

Sollten wir also gleichgeschlechtliche Partnerschaften, gewollte Kinderlosigkeit, Propaganda für solche Lebensmodelle oder kinderfeindliche Architektur unter Strafe stellen oder zumindest fühlbar besteuern? Nicht unbedingt, vielleicht sollten wir nur einen Prozentpunkt der Mehrwertsteuer zweckgebunden einem breiten und obligatorischen! Bildungs- und Aufklärungsprogramm widmen. Und das unter dem Titel »Wider die soziale Dummheit!« oder »Freiheit und Verantwortung«.

Welche Alternative bleibt uns? Ein verantwortungs-, gewissen- und gefühlloser Verteilungskampf weniger Junger gegen viele Alte, die mit diesem Kampf von ihrem eigenen Egoismus, ihrer sozialen Dummheit eingeholt und erdrückt werden. Nicht jeder Bürgerkrieg geht mit Schlachtenlärm einher. Aber mit Unregierbarkeit und Faustrecht, mit Elend und Tod. Was für eine Aussicht!

Jennifer Cramblett: Von den Grenzen des Wollens

Wenn einer, weil er sich für ein Huhn hält und unglaubliche Schwierigkeiten mit dem Eierlegen hat, beim Hausarzt auf Be­hand­lung seines Problems drängt, ist sein Weg in die Psychiatrie schon vorgezeichnet. Ein Mensch will Eier legen und gilt deshalb als krank, zumindest psychisch. Das wird wohl von niemandem bestrit­ten.

Doch das Feld des psychisch Kranken verliert zunehmend an Größe und die Aussichten auf neue, Grenzen sprengende Freiheiten sind glänzend.  So führte mein Wollen, eine steuerlich anerkannte Le­bens­gemeinschaft mit meinem Gummibaum einzugehen, zu keinen psychiatrischen Heilungsversuchen an mir. Ich liebe nun mal – rein sensorisch – die glatte Oberfläche der Blätter dieses wundervollen Baumes und möchte ihn deshalb stets um mich haben und ihm ideale Nahrung und optimales Klima bieten. Was erhöhte Ausgaben nach sich zieht, deren steuermindernde Anerkennung mir seit Jahren verweigert wird. Ich fühle mich also stark diskriminiert, vor allem, wenn ich neidvoll eingetragene Lebenspartnerschaften betrachte, die doch (noch) ebenso unfruchtbar zusammen leben wie ich mit meinem Ficus, aber dennoch fortpflanzungsfähigen Ehepaaren in vielem gleichgestellt sind.

Es sind Pioniere wie Jennifer Cramblett, die uns beharrlich und nach­haltig immer neue Freiheitsräume schaffen, damit uns unser Wollen nicht in die Zwangsjacke führt. Diese tapfere Frau vertritt nicht nur als Lesbe einen erweiterten Ehebegriff und möchte selbst­verständlich auch ein Kind »haben«. Nein, sie kämpft sogar – ihren guten Ruf riskierend – für einen gesunden Rassismus, den uns ver­staub­te Fantasiebrem­sen hartnäckig austreiben und damit die Frei­heit nehmen wollen zu bevorzugen, wonach uns der Sinn steht.

Menschen wie diese starke Frau geben mir die Hoffnung, dass ich eines Tages gemeinsam mit vielen Gleichgesinnten stolz und öf­fent­lich ausrufen kann: »Ich lebe mit einem Ficus und das ist gut so!«