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Demokratie: Etwas für Habenichtse?

Demokratie ist ein Verfahren, mit dem Wenige auf Zeit Macht über Viele bekommen, damit sich diese Vielen ihren ureigenen Aufgaben widmen können.  Dieses Verfahren ist solange legitim, wie die Vielen mit ihren Aufgaben gut zurechtkommen. Empfinden diese Vielen, dass mit ihrer Existenz etwas nicht stimmt und dass auch der demokratische Wechsel keine Linderung ihrer Probleme bringt, verweigern sie die Teilnahme an der Demokratie. Wozu denn auch?

Bei der letzten Bundestagswahl war das Profil der Nichtwähler klar in Richtung der ständig wachsenden Zahl von Habenichtsen verschoben. In der Realität hat damit für Millionen Bundesbürger die Demokratie keine Bedeutung mehr. Von ihnen sind keine Montagsdemonstrationen gegen Feinde der Demokratie zu erwarten. Ihre Verfechter müssen damit auf ständig schwindender Basis operieren. Es gibt aber gute Gründe, das demokratische Verfahren beizubehalten.

Denn schon einmal, vor gut 80 Jahren, war den Deutschen die Demokratie – aus verständlichen Gründen – gleichgültig geworden. Die Menschen der Welt haben dafür von 1939 bis 1945 einen ungeheuren Preis zahlen müssen. Nun ist in unserem Land mindestens unklar, wie sehr das Gefühl der Verantwortung für andere und vor allem für kommende Generationen noch verankert ist, da wir zunehmend Abschiebung sogar für unsere eigenen Kinder fordern. Es scheint daher allerhöchste Zeit, dass die gegenwärtigen Machthabenden ein Programm verwirklichen, allen Menschen die Teilnahme am demokratischen Verfahren sinn- und wertvoll erscheinen zu lassen. Dabei darf es keine Tabus geben, nicht in der Außen-, Wirtschafts-, Sozialpolitik oder der Rechtsordnung, das Grundgesetz eingeschlossen.

In der Steuerpolitik erst recht nicht! Warum darf der Steuersatz für Unternehmen neben der Höhe des Gewinns nicht davon abhängen, wie der Gewinn erzielt wurde? Würde lohnintensiv erzielter Profit deutlich günstiger besteuert als kapitalintensiv erzielter, gäbe es bald keine Arbeitssuchenden mehr und die Tarifautonomie würde bei steigenden Arbeitsplatzangebot für auskömmliche Einkommen sorgen,  mit einer Vielzahl positiver Nebenwirkungen für unsere Gesellschaft.

Und sollte dieser steuerliche Denkansatz völlig hirnverbrannt sein, weil unsere Wirtschaftsweisen herausgefunden haben, dass der unvermeidliche globale Wettbewerb unweigerlich eine lokale Verarmung mit sich bringt, dann dürfen die Machthabenden erst recht nicht weiterwursteln (»muddling through« für die Suchmaschinen und die NSA), sondern müssen uns ganz offen und ehrlich den Übergang in relative Armut gestalten helfen.

Deutschland: Die Nettoagentur muss her!

Unser aller Bundesfinanzminister sieht den Wald vor Bäumen nicht. Wenn denn das Bankgeheimnis ausgedient hat, also die Fi­nanz­be­hör­den ohnehin alles wissen, wozu überhaupt noch Steuern zahlen? Wa­rum nicht gleich alle potenziell zu versteuernden Werte und Geld­strö­me in voller Größe den Finanzämtern überlassen, die dann nach Abzug des Geldbedarfs der öffentlichen Hand die Rest­pro­zen­te den Endempfängern zur Verfügung stellen? Gegebenenfalls unter wei­te­rem Abzug einer Ab­gel­tungs­ab­gabe für das Recht der wirt­schaftlichen Nutzung eben die­ser Restprozente?

Kleinlichen Gemütern, die noch irgendwie auf verfassungsmäßigen Eigentumsschutz pochen, könnte man ihren muffigen Wind aus den Se­geln nehmen, indem Werte und Geldströme »bloß« treu­hän­de­risch an den Staat gehen.

Diesen fortschrittlichen, den Staat stärkenden Wandel könnte man nahezu arbeitsplatzneutral gestalten. Die Scharen der dann nutz­lo­sen Steuerberater werden in staatliche sogenannte »Net­to­agen­tu­ren« übernommen, welche die Restprozente zu ermitteln haben.

Ein ausgewiesener Steuerexperte erklärte mir einmal, dass auf ei­nem Regalbrett, welches die aktuelle Steuerliteratur der gesamten Welt trägt, volle zwei Drittel der Länge für Fachpublikationen aus Deutschl­and zu reservieren wären. Für Kopfrechner: Da die Bun­des­re­pub­lik für etwa 5% der Weltwirtschaft steht, beträgt damit die Komp­le­xi­tät des deutsche Steuerrechts 1300% des globalen Durch­schnitts. Was übrigens auch der Grund ist, dass deutsche Richter in Be­fan­genheitsverfahren grundsätzlich keinen Eid ablegen, dass sie noch nie eine falsche Steuererklärung abgegeben haben, weil das in unserem Land praktisch unmöglich ist.

Ersetzen wir unser gegenwärtiges Steuerunwesen durch ein System von Nettoagenturen, wird vieles einfacher, Richter und ver­gleich­ba­re Staatsdiener werden nicht mehr vom Steuergewissen geplagt. Kein Bürger macht sich mehr auf dem Feld der Abgaben strafbar oder muss – mit oder ohne professionelle Hilfe – verzweifelt im Dic­kicht der 1300% Steuervorschriften herumirren.

Wenn Schäuble nun noch den Bundesrechnungshof dahingehend neu ausrichtet, dass er nicht mehr die Behörden überwacht, sondern Ver­stö­ße von Firmen und Privatpersonen gegen das Gebot der Ge­winn­ma­xi­mie­rung ahndet, werden endlich Helmut Kohls vor­aus­ge­ahn­te »blühende Landschaften« das Bild unserer Republik kenn­zeich­nen.

Deutschland: Unser tägliches Unrecht

Allein 2013 gab es weit über 200000 erfolgreiche Widersprüche gegen Hartz-IV-Bescheide. Demnach waren mindestens so viele Bescheide einfach Unrecht. Gehen wir von einer Dunkelziffer von nur 100000 weiteren Widersprüchen aus, die erfolgreich hätten eingelegt werden können, bleiben die entsprechenden Amtsakte auch Unrecht, für immer.

Aber es trifft nicht nur die Bedürftigen. Alljährlich sind in unserem Land weit über 3 Millionen Steuerbescheide nachweisbar falsch, al­so Unrecht.

Wieviel Unrecht an wievielen Menschen muss wie häufig ge­sche­hen, dass unsere Republik den Titel »Unrechtsstaat« verdient? Und warum beziehen unsere Politiker weder im Wahlkampf noch bei Koalitionsverhandlungen klare Stellung und distanzieren sich von dieser Welle – wenn es denn kein Tsunami ist – an Unrecht, die uns alle früher oder später trifft, und versprechen oder schaffen sogar Abhilfe?

Verlangen Vertreter einer Partei A allein von Vertretern einer Partei B, ein verflossenes Land als Unrechtsstaat zu brandmarken und sich davon rückwirkend zu distanzieren, entsteht der Verdacht, dass damit Partei A unser heutiges Unrecht – wenn schon nicht be­för­dert – so doch billigend in Kauf nimmt.

Politik wird erst richtig schwierig, wenn dabei das Recht nicht unter die Räder kommen soll.