Es war einmal ein trauriger Papst, der sich selbst Maledikt XVI. nannte. Sein treuer Kammerdiener Pietro Michele hatte ihm eben die neuesten Nachrichten aus Presse und Internet überbracht und Maledikt XVI. schüttelte verzweifelt sein silbergraues Haupt. Denn wieder hatte die Zahl der Gläubigen und Kirchensteuerzahler deutlich abgenommen. Die Meldungen waren voll des Schwundes. Pietro Michele holte währenddessen gerade eine Rolle unschuldig-blütenweißen päpstlichen Klopapiers aus dem Vorratsschrank und und hängte sie auf der Toilette Seiner Heiligkeit ein. Betrübt sann er nach: »Wie können wir unserer Kirche und damit auch Seiner Heiligkeit zu neuer Größe und neuem Glanz verhelfen?«
Nicht ganz unbeeinflusst von der päpstlichen Aura kam dem Kammerdiener eine Erleuchtung. Ohne Umschweife sprach er – wie unbewusst – laut vernehmlich vor sich hin: »Wenn wir uns für die Belange der armen Lateinamerikaner einsetzen, werden sie zuhauf zu uns strömen! Retten wir doch ihre Regenwälder, machen wir auf Öko, verwenden wir nur noch Recyclingpapiere, von der päpstlichen Toilette bis zu den Pappbechern für das Weihwasser!« Diese Technik des wie beiläufigen Vorsichhinsprechens hatte Pietro Michele schon vor Jahrzehnten entwickelt, um allerlei zeitraubende Formalitäten der Kommunikation weglassen zu können. Und siehe: sie funktionierte prächtig, denn Maledikt XVI. bemerkte zwar daraufhin noch päpstlich tadelnd, dass dieser Öko-Schritt nichts brächte, wenn es kein Indio erführe. Aber er übernahm des Kammerdieners Idee geschwind und entschlossen, wie schon so oft in der langanhaltenden Beziehung dieser beiden Männer.
Kardinal Berluscone, der PR-Chef des Vatikans, wurde gerufen, die Medienkampagne – vor allem auf die Bewohner des südlichen Amerikas gerichtet– geplant und gestartet und der Heilige Einkauf unterrichtet, dass künftig nur noch zertifiziertes Umweltpapier zu beschaffen sei, vorzugsweise unter laufenden Kameras des italienischen (ersatzweise auch bayerischen) Staatsfernsehens. Nach einer geringen Irritation Seiner Heiligkeit wegen des eher weniger unschuldigen Aussehens seines neuen höchstpersönlichen Klopapiers, die von Pietro Michele mit dem Hinweis auf die eingeschränkten Möglichkeiten des Recyclingprozesses ausgeräumt wurde, zeitigte der neue Ökodurchmarsch des Vatikans schönste Früchte. Neue Gläubige lateinamerikanischer Herkunft strömten der Kirche Seiner Heiligkeit in Scharen zu.
Doch Gott, der Herr, hielt neue Prüfungen für seinen höchsten Diener bereit. In den Straßen und Gassen Roms und den verschwiegeneren Kammern des Vatikans ging zwar schon seit Jahrhunderten das Gerücht, dass viele Kirchenoberste des Machtzentrums ihre biologischen Bedürfnisse auf unziemliche Weise auslebten und befriedigten. Aber in den letzten Jahren war aus dem Gerücht schon fast ein Getöse geworden, schlimmer noch, es sollten sich sündige Strukturen verfestigt haben, die Erpressungen und kirchenfremden Entscheidungen der Machthaber Tür und Tor geöffnet hatten. Am liebsten wäre es ja Maledikt XVI. gewesen, dass all diese Gerüchte eben bloß Gerüchte waren. Doch wer wusste besser als ein Papst, was ein frommer Wunsch wert ist?
All die Weisheit, die der Papst in seinem langen Leben mühsam erworben hatte, ließ ihn in höherem Alter zunehmend als Realist operieren. So war Seine Heiligkeit sehr wohl überzeugt, dass gegen die biologische Basis kardinalen Daseins wenig auszurichten war. Blieb nur zu hoffen, dass ein göttlicher Ratschluss, ein Wunder gar, zumindest das Undenkbare, ja sogar Unglaubbare, verhindern würde. Dass nämlich der Heilige Stuhl künftig von Menschen mit aktiv ausgelebten Trieben besetzt wird, deren Vorbildwirkung schlicht das Aussterben der gläubigen Massen wegen Kindermangels nach sich zieht. Führte seit ewigen Zeiten der Zölibat hinter vorgehaltener Hand oder zugezogener Gardine wenigstens zu leibhaftigem Priesternachwuchs, also genetisch christlich geprägten potenziellen Neugläubigen, wäre eine Unterwanderung der Kirche mit befruchtungslos Kopulierenden als Vorbild der Herde ein weiterer Quell tiefgreifenden Mitgliederschwundes.
Selbst hingebungsvolles, langwieriges Beten Seiner Heiligkeit wollte kein Erkennen bringen, wie der Stuhl Petri künftig vor diesen aus Überzeugung Fortpflanzungsfeindlichen geschützt werden könnte. Und auch dem Kammerdiener Pietro Michele fiel sogar in den intimsten Momenten wie dem morgendlichen Klopapierwechsel nichts Hilfreiches ein. Wie auch, zählte er doch vier Kinder und ein stattliches Weib zu seiner Familie und die Schwachpunkte der Männer, die ihre Geschlechtsgenossen über jedes christliche Maß hinaus zu lieben beliebten, waren ihm völlig unbekannt.
Der Druck auf Maledikt XVI. wuchs nach und nach ins Unermessliche, fühlte er sich doch zunehmend älter und schwächer, ohne dass ihm eingefallen wäre, wie er seinen Nachlass so recht hätte ordnen können. Die Zeit lief ihm davon. Da kam ihm unerwartet (Glück oder göttliche Fügung?) ein nur scheinbar bedeutungsloser Zwischenfall zu Hilfe. Im vatikanischen Einkauf war Monsignore Capelli, ein altersschwacher Glatzkopf, auf der feuchten Treppe des Petersdoms ausgerutscht und musste zur Wiedereingliederung seiner lädierten Knochen für zwei Wochen ein Krankenhaus aufsuchen. Eben dieser Monsignore Capelli trug die Verantwortung für den Einkauf sämtlichen Hygienepapiers, das den Bewohnern des Vatikans angenehme Dienste leistete. Damit diese Beschaffung ohne Unterbrechung weitergehen konnte, organisierte die vatikanische Personalabteilung eine temporären Ersatz von der römischen Zeitarbeitsfirma »Tempus fugit«. Dieser Unglücksrabe namens Adriano Cepetto hatte zwar in seinem beruflichen Leben schon einmal Papiere eingekauft. Doch vergaß man wohl, ihn über die wälderschonende Einkaufspolitik seines einstweiligen Arbeitgebers zu informieren. Adriano entpuppte sich als echter Schnäppchenjäger und ergatterte alsbald einen vollen 20-Fuß-Container mit rosarotem, flauschigem Klopapier aus einer Konkursmasse, was weit mehr als den gesamten Jahresbedarf des insgesamt bescheiden speisenden Vatikanpersonals darstellte.
Als nun dieses Papier die vatikanischen Klopapierhalter zu bevölkern begann, zumal in dieser symbolhaften Farbe, wollten so manche Kardinäle und Kirchenobere mit eben jener gefährlichen modernen geschlechtlichen Orientierung endlich glauben, dass Lockerungen des strengen christlichen Regiments angesagt waren. Doch das war ein Irrtum, der sofort klar wurde, als die erste rosarote Rolle in die dienstbeflissenen Hände des Kammerdieners Pietro Michele geriet. Da er nichts vom Ausrutscher des Monsignore Capelli wusste, vermutete er im Farbwechsel eine umstürzlerische Absicht. Und so schien ihm die Zeit überreif, sich für die Ziele Seiner Heiligkeit selbstschonungslos einzusetzen. Er hatte schon immer das Verlangen verspürt, seinem Leben einen dem Christen würdigen Abschluss zu geben, wenn schon nicht am Kreuz, dann wenigstens in einem anderen Martyrium. Wobei es dem guten Pietro Michele nicht um einen billigen PR–Gag ging. Hauptsache, Gott, der Herr, konnte erkennen, was sein geringer Diener für das Christentum zu leisten bereit war.
Also fasste sich der Kammerdiener ein Herz und sprach Seine Heiligkeit respektvoll, aber bestimmt, an. Dass es ein Kreuz mit diesen hochrangigen Sündern sei, dass es kein Wunder sei, wenn selbst der Papst nicht wisse, wie so eine widernatürliche Machtergreifung zu verhindern sei, teilte Pietro Michele die Sorgen seines Herrn. Und das ihm völlig klar sei, dass schon der Versuch, die ungeheuren Vorwürfe aufzuklären, wenn nicht zu entkräften, ein auf die Institution der Kirche Schatten und Schmutz werfendes Unterfangen wäre. Er sei bereit, alles einzusetzen, um das üble Treiben wenigstens soweit einzudämmen, dass eine Papstnachfolge durch einen befruchtungslos Kopulierenden nicht möglich werde. Überwältigt von Treue und Mitgefühl des wackeren Kammerdieners fiel Maledikt XVI. alsbald auf die Knie, um ein heißes Dankgebet gen Himmel zu senden. Denn Pietro Michele hatte mit seiner Mitteilung eine Hingabe und Opferbereitschaft zu erkennen gegeben, die im Papst eine Idee entstehen ließ, mit der er endlich sein Haus christlich bestellen konnte.
Schleunigst ließ Maledikt XVI. seinen Kammerdiener einen umfangreichen Ordner mit weniger wichtigen, doch handverlesenen päpstlichen Geheimpapieren zusammenstellen, erteilte Pietro Michele seinen päpstlichen Segen, versprach ihm Eingang in das Paradies und bat ihn, diese Papiere geräuschlos, aber gewiss, an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Nach kurzer Zeit schon wurde das Informationsleck ruchbar und der Papst konnte eine Kardinalskommission seines Vertrauens einsetzen, diese Ungeheuerlichkeit aufzuklären. Wohlgemerkt, nicht die sexuellen Untiefen des Kardinalskollegiums, sondern allein den Vertrauens- und Vertraulichkeitsbruch des Pietro Michele. Die Kardinäle fühlten sich betroffen und verunsichert und stellten bereitwillig all ihre Bürounterlagen zur Verfügung, das Leck einzugrenzen. Was sie dabei nicht bedacht hatten: durch einfaches Abstimmen aller Kalender hatte die Kardinalskommission im Nu ermittelt, welche der Kollegen sich wo und wann und wie lange an denselben Orten aufgehalten hatten. Eine kurze Ortsbegehung dieser vermutlichen Treffpunkte förderten einschlägige Saunen, Kosmetiksalons und andere Vergnügungsstätten zutage. Tatorte wurden also entdeckt und Missetäter entlarvt und ein umfangreicher, streng geheimer Abschlussbericht der Untersuchungskommission wies deutlich und namentlich auf all die Kardinäle hin, deren bekanntgewordenes verwerfliches Tun einer Papstkandidatur endgültig im Wege stand.
Und der Kammerdiener Seiner Heiligkeit, Pietro Michele, erlangte sein Martyrium. Schnell hatte man ihn als den Haupttäter des Geheimnisverrats ermittelt. Schnell wurde er verurteilt, noch schneller vom greisen Papst Maledikt XVI. begnadigt und in den wohlverdienten Ruhestand befördert. Und wenn dieses Märchen nicht verloren geht, wird Pietro Michele in ferner Zukunft seliggesprochen, denn er verriet seinen Herrn, um die Kirche zu retten.